“Finden Sie Ihre eigene Arbeitsweise”

25. August 2020

Als promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin bezeichnen Sie die Wirtschaftswissenschaften als Teil der Sozialwissenschaften. Wie kommen Sie zu dieser vergleichsweise doch eher ungewöhnlichen Aussage?

In den Wirtschaftswissenschaften dominieren aktuell mathematische Methoden. Historisch gesehen bedienten sich die Wirtschaftswissenschaften aber ganz unterschiedlicher „Hilfsdisziplinen“. Ich finde es wichtig zu verstehen, dass auf Märkten Menschen agieren, deren Verhalten komplex ist und sich nicht an mathematischen Regeln ausrichtet. Außerdem lassen sich meiner Ansicht nach viele wirtschaftliche Zusammenhänge ohne die Berücksichtigung soziologischer Theorien nicht ausreichend erklären. Aus diesem Grund gehören für mich die Wirtschaftswissenschaften zu den Sozialwissenschaften.

Der Titel Ihrer Dissertation lautet: Das Zusammenspiel formeller und informeller Institutionen bei der Umsetzung von Reformkonzepten – eine Analyse am Beispiel von Tansania und Uganda. Wie kamen Sie zu diesem spannenden Thema? Hatten Sie schon vor Ihrer Promotion einen Bezug zu diesen Ländern?

Zwischen Bachelor- und Masterstudium habe ich ein Praktikum im Senegal gemacht. Dabei entdeckte ich mein Interesse für Fragen wirtschaftlicher Entwicklung. Meine Erlebnisse faszinierten mich so sehr, dass ich ein Jahr später ein weiteres Praktikum in Äthiopien gemacht habe. Als ich dann meine Master-Arbeit schrieb, wurde mir klar, dass ich mich weiter mit Fragen der Entwicklungs-Zusammenarbeit beschäftigen möchte – auch auf wissenschaftlicher Ebene. Mich interessierte vor allem, weshalb die vielen verschiedenen Maßnahmen der Entwicklungs-Zusammenarbeit in afrikanischen Ländern meist nicht die gewünschte Wirkung entfalten. Aus solchen Fragen rührte mein innerer Antrieb für die Doktorarbeit. Mich haben aber nicht nur thematische, sondern auch methodische Fragestellungen beschäftigt. Während meines Masters habe ich quantitative Methoden oft mit Skepsis betrachtet. In der sozialen Realität gibt es viele komplexe Fragen, die wir nicht berechnen können. Dennoch brauchen wir empirische Methoden, um mehr über bestimmte Fragen herauszufinden. Daher wandte ich in meiner Promotion auch qualitative Methoden an, die eine sinnvolle Ergänzung zu den quantitativen Herangehensweisen darstellten. Damit konnte ich bestehende Ansätze in der VWL aus einer anderen Sichtweise ergänzend behandeln.

Haben Sie dazu auch Feldforschung in einem der Länder durchgeführt?

Ja, ich war zur Feldforschung in Uganda und Tansania. Die Zeit dort war unglaublich bereichernd! Ich führte Interviews mit EntwicklungsberaterInnen verschiedener Organisationen, die vor Ort Reformkonzepte vermitteln. Dadurch tragen sie zur Umsetzung von Konzepten in der Entwicklungs-Zusammenarbeit bei. Diese BeraterInnen betrachte ich als kulturelle Dolmetscher: Sie sind die Akteure, die an der entscheidenden Schnittstelle operieren. Sie vermitteln zwischen Organisationen der Entwicklungs-Zusammenarbeit und der Bevölkerung. Insgesamt habe ich aus den Erlebnissen und Erfahrungen in Uganda und Tansania viel Motivation und Energie für meine Promotion gewinnen können. Ich denke sehr gerne an diese intensive Zeit zurück.

Mit Ihrem Promotionsthema sind Sie wahrscheinlich auch auf Kritik gestoßen. Die Ansicht, dass Entwicklungshilfe nicht effektiv sei und teils auch aus „westlicher Arroganz“ rühre, wird oft vertreten. Wie stehen Sie zu diesen Positionen – insbesondere vor dem Hintergrund Ihrer gesammelten Ergebnissen?

Interessanterweise waren genau solche kritischen Stimmen der Ausgangspunkt meiner Dissertation. Mir war es immer wichtig, kritisch zu hinterfragen, was wir genau dort machen. Was gelingt, was gelingt nicht? Wo gibt es Verbesserungsmöglichkeiten? Wir leben heute in einer globalen Welt, in der die Länder eng miteinander verbunden sind. Das verdeutlichen Phänomene wie der Klimawandel, die Flüchtlingskrise und nicht zuletzt die Corona- Pandemie. Ich bin deshalb überzeugt davon, dass den „westlichen“ Länder in der Welt eine deutliche Verantwortung zukommt. Es gibt sicherlich viele unterschiedliche Wege, diese Verantwortung wahrzunehmen. In meiner Arbeit fokussiere ich mich auf die Art von Entwicklungs-Zusammenarbeit, wie sie momentan in vielen Ländern praktiziert wird. Mir ging es darum, wie wir die bestehenden Systeme weiter verbessern können. Eine meiner Schlussfolgerung ist, dass wir Konzepte benötigen, die genug Flexibilität für die Bedürfnisse der Akteure vor Ort schaffen. Nur so können wir angemessen auf die Bedingungen vor Ort eingehen.

Nun arbeiten Sie als Referentin beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Wollten Sie nach Ihrer Dissertation direkt in solch eine Behörde oder hatten Sie sich auch überlegt, noch länger in der Wissenschaft zu bleiben?

Die Wissenschaft war für mich damals definitiv eine Option. Zum Ende meiner Dissertation habe ich aber gemerkt, dass ich den Bereich Entwicklungspolitik aus praktischer Sicht kennenlernen möchte. Daher bewarb ich mich beim BMZ und hatte Erfolg: zwei Wochen nach Abgabe meiner Promotion trat ich die Referentenstelle dort an! Hier arbeite ich hauptsächlich zur Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung in Entwicklungsländern. Diese Arbeit gefällt mir sehr gut. Ich übernehme vielfältige Aufgaben, kann mich dort weiterentwickeln und unterschiedliche Arbeitsbereiche des Ministeriums kennenlernen.

Denken Sie manchmal noch an die Wissenschaft?

Aktuell konzentriere ich mich auf meine Referententätigkeit im Ministerium, denn ich möchte hier meine Kompetenzen ausbauen und Neues lernen. Trotzdem beschäftigt mich das Thema meiner Dissertation weiterhin. Auch wenn meine Dissertation verteidigt ist, möchte ich einige Teile daraus gerne noch veröffentlichen. Mein Fokus ist jetzt ein anderer, aber ich habe weiterhin ein großes Interesse an der Wissenschaft.

Sie waren während Ihrer Studien- und auch Promotionszeit Stipendiatin der KAS. Heute sind Sie als Referentin auf KAS-Seminaren tätig und mit der Stiftung noch eng verbunden. Welche Motivation steckt hinter Ihrem Engagement dort?

Hierfür gibt es vor allem zwei Gründe. Zum einen habe ich persönlich lange von der KAS profitiert. Denn sowohl als Studentin, als auch als Doktorandin habe ich dort viel Unterstützung bekommen und hatte hilfsbereite AnsprechpartnerInnen, die mich auf meinem Weg begleitet haben. Die Unterstützung, die ich selbst erfahren habe, möchte ich gerne an andere StipendiatInnen weitergeben. Es freut mich immer sehr, wenn ich junge Menschen beraten kann. Zum anderen macht mir die Referententätigkeit bei den Seminaren viel Spaß! Die StipendiatInnen sind sehr interessierte und motivierte Leute. Es ist eine schöne Aufgabe, mit solchen Menschen zusammenzuarbeiten.

Sie sprachen gerade davon, dass Sie junge Menschen auf ihrem Weg gerne unterstützen. Welche Tipps würden Sie DoktorandInnen für Ihre Dissertation geben?

Am Anfang meiner Dissertation habe ich mich oft etwas orientierungslos gefühlt. Ich habe mich gefragt, wie ich diesen Berg an Arbeit angehen soll. Fragen wie „Wie strukturiere ich meinen Arbeitsalltag?“ oder „Wie gestalte ich mein Wissensmanagement?“ haben mich dabei besonders beschäftigt. Einerseits hat es mir geholfen, mich mit anderen auszutauschen. Andererseits habe ich mit der Zeit gemerkt, dass es wichtig ist, meine eigene Arbeitsweise zu finden. Letztlich schreibt jeder alleine an seiner Arbeit. Dafür ist eine ordentliche Portion Selbstvertrauen, aber auch Experimentierfreudigkeit gefragt. Ich empfehle, sich den großen Berg an Arbeit in kleine Einheiten aufzuteilen. Dadurch verschafft man sich einen guten Überblick. Außerdem habe ich mich mit anderen DoktorandInnen zusammengeschlossen. Mit einigen davon organisierte ich sogenannte „Diss-Wochen“. Für eine Woche konzentrierten wir uns voll und ganz auf die Promotion und nicht auf andere Aufgaben. Gemeinsam konnten wir uns motivieren und sind gut voran gekommen.