“Wenn Sie nicht an Ihre Ideen glauben, dann tut es keiner!”

19. April 2021

Sie haben vor Kurzem den Ruf an die Ludwig-Maximilian-Universität in München (LMU) bekommen und sind nun neue Inhaberin des Lehrstuhls für Vergleichende Politikwissenschaft. Auf welche Aufgaben freuen Sie sich hierbei am meisten? Und welche Ziele haben Sie sich für Ihre neue Stelle gesetzt?

Der Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft am Geschwister-Scholl-Institut der LMU war mehrere Jahre vakant. Gleichzeitig war das letzte Jahr in England wegen der Pandemie akademisch relativ isoliert. Deshalb freue ich mich jetzt besonders darauf, ein Team von neuen Mitarbeitern, die in der Mehrheit selber gerade aus dem Ausland im deutschen Unisystem ankommen, aufzubauen, sei dies mit Blick auf unser Lehrprogramm oder moegliche gemeinsame Forschungsprojekte. Was meine eigene Forschung angeht ist sicher mein ERC Projekt ‘The Shrinking Space for Civil Society in Europe’, das im Maerz 2022 anfängt und über fünf Jahre laufen wird, ganz zentral. An dem Projekt werden nicht nur Postdocs, Doktoranden und studentische Hilfskraefte der LMU arbeiten, sondern auch Kollegen in Italien, Ungarn und in Grossbritannien. Die Chance über einen längeren Zeitraum hinweg ein breit angelegtes Thema von verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und mit einem internationalen Team bearbeiten zu können, ist natürlich etwas ganz Besonderes. Dieses Projekt erfolgreich abzuschliessen wird somit ein ganz wichtiges Ziel der nächsten Jahre sein.

Vor Ihrem Ruf an die LMU waren Sie Professorin an der University in Exeter, UK. Wie sehr hat Sie das englische Unisystem geprägt? Welche Vor- bzw. Nachteile hat es gegenüber dem deutschen System?

Das englische Universitätssystem hat mir die Moeglichkeit gegeben mich über eine Zeitraum von acht Jahren vom Lecturer zum Professor unter guten Arbeitsbedingungen Schritt für Schritt hochzuarbeiten, ohne dass ich den Druck hatte, mich auf Stellen ausserhalb bewerben zu müssen. Das hat mir sehr viel Planungssicherheit und Kontinuitaet gegeben, was meiner wissenschaftlichen Arbeit sehr geholfen hat. Gleichzeitig sind Studenten wegen der hohen Studiengebühren anspruchsvoller als in Deutschland und der Druck, der von der Regierung ausgeht, für die Praxis “relevante” Forschung zu betreiben (und diese “Relevanz” auch konkret nachweisen zu können), hat über die letzten zehn Jahre sehr zugenommen. Die Bedingungen für breit ausgelegte Grundlagenforschung sind deshalb meiner Meinung nach in Deutschland besser.

Sie haben schon viele Drittmittelprojekte, u.a. einige ERC Grants oder auch ein paar Marie-Curie-Fellowships, erfolgreich an Land gezogen. Wodurch zeichnet sich Ihrer Meinung nach ein gelungener Forschungsantrag aus?

Speziell bei ERC Grants erfolgt die Begutachtung durch eine interdisziplinäre Expertenkommission und durch Spezialisten aus dem eigenen Feld. Auch Marie Curie Fellowships werden nicht notwendig von Kollegen begutachtet, die im eigenen Spezialgebiet arbeiten. Deshalb ist ganz zentral die richtige Balance zu finden zwischen Zugänglichkeit der breiteren Relevanz der Forschungsfrage und des Projektes selber für verschiedene Fachbereiche und genügend Detail, um auch Spezialisten überzeugen zu können. Gerade wenn man sich lange mit einer Materie beschäftigt hat, ist das nicht immer einfach. Deshalb ist in der Vorbereitungsphase solcher Anträge gerade der Dialog mit Kollegen, die ausserhalb des eigenen Bereichs arbeiten und sich trotzdem die Zeit nehmen, sich mit einem Projekt auseinanderzusetzen, so enorm wichtig.

Sie sind auch noch Mutter einer kleinen Tochter. Wie vereinbaren Sie Wissenschaft und Familie?

Mein Mann und ich haben uns die Betreuung unserer Tochter von Anfang an so gut es ging aufgeteilt. Mein Mann war, als wir uns vor mehr als 10 Jahren kennengelernt haben, alleinerziehender Vater zweier Kinder. Ich habe also in eine Familie ‘eingeheiratet’, was in vielerlei Hinsicht der größere Einschnitt für mich war als die Geburt unserer gemeinsamen Tochter. Eine entscheidende Veränderung war aber sicherlich, dass ich seit meine Tochter auf der Welt ist sehr viel rationaler mit meiner Zeit umgehe. Vor 2007 habe ich zu vielen Aufgaben, die ich wichtig oder interessant fand, einfach spontan ‘ja’ gesagt, ohne mir viel Gedanken zu machen, weil man zusätzliche Dinge immer irgendwie auch noch hinbekommen hat. Das geht seitdem nicht mehr und ich bin in meiner Planung sehr viel strategischer geworden und habe lernen müssen auch mal ‘nein’ zu sagen.

Welches war der sinnvollste Ratschlag, den Sie während Ihrer Laufbahn bekommen haben? Und welchen Tipp würden Sie Nachwuchswissenschaftlerinnen mit auf den Weg geben?

Ein Professor, den ich bei einem Auslandsjahr in den USA noch während meines Studiums vor mehr als 20 Jahren kennengelernt habe und mit dem ich noch heute in Kontakt bin, meinte immer ‘Wenn Du nicht an Deine Ideen glaubst, tut es keiner’. Das ist mir im Gedächtnis geblieben, weil man in der Wissenschaft (außer man hat sehr viel Glück) oft sehr lange und auch gegen Widerstand an neuen Ideen festhalten muss und diese immer wieder überarbeiten muss, bis sie zu etwas führen, sei dies Publikationen oder Projekte. Mein Tipp an Nachwuchswissenschaftlerinnen ist deshalb zu versuchen, Kritik an der eigenen Arbeit so konstruktiv wie möglich für sich selber und die eigenen Arbeiten zu nutzen. Selbst durch Kritik, die sehr harsch oder auf den ersten Blick vielleicht sogar wenig sachlich oder gerechtfertigt erscheint, kann man mit etwas Distanz sehr viel Hilfreiches über die eigene Arbeit oder die eigene Denkweise lernen.